“Unser Personalchef hat immer gesagt, das kann doch gar nicht funktionieren.”

Vor gut einem Jahr wurde weltweit das Experiment Homeoffice gestartet. Was ist das Fazit nach den ersten Iterationen? Das möchte ich hier beleuchten.

Anfang 2021 wird diskutiert, ob zu wenige Unternehmen und vor allem Behörden ihren Mitarbeitern Homeoffice ermöglichen, angesichts weiter besorgniserregend hoher Incidenzwerte. Und es scheint auch immer noch Firmen zu geben, die bisher keinerlei Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt haben und sich dem Experiment verweigern.

Doch was sagen die, die sich auf das Experiment eingelassen haben? Wir haben dazu Interviews mit denen geführt, die es direkt betrifft.

Vor März 2020 waren die mit dem Homeoffice verbundenen Regelungen ein ständiger Streitpunkt in vielen Unternehmen. Die unterschiedlichen Regelungen und Auslegungen von Führungskräften haben immer wieder zu Frust bei den Mitarbeitern geführt, die gerne mehr im Homeoffice gearbeitet hätten.

Entsprechend überrascht waren viele der Befragten, dass nach Start des Experiments die Produktivität nach einem kurzen Einbruch gleich geblieben oder sogar noch gestiegen ist.

In den Gesprächen, die wir geführt haben zeigten sich unsere Gesprächspartner übereinstimmend positiv überrascht davon, was alles in der virtuellen Zusammenarbeit möglich ist.

Rund 80% aller Mitarbeitenden im Homeoffice sind mit ihrer Arbeitssituation zufrieden.

Entsprechend wird das mobile Arbeiten (im Wechsel zu Hause und im Büro) dort nicht mehr in Frage gestellt. Das gilt für die Mehrzahl der Mitarbeiter:innen und die Führungskräfte gleichermaßen.

70% wünschen sich auch zukünftig mehr im Homeoffice arbeiten zu können.

Viele der Befragten berichten, dass sie im Homeoffice produktiver sind, weil sie längere Zeit am Stück ungestört arbeiten können. Auch wird die virtuelle Zusammenarbeit als wesentlich sachlicher und zielorientierter wahrgenommen. Hinzu kommt, dass das Homeoffice der eigenen Lebensgestaltung entgegenkommt.

Immer mehr Unternehmen sehen das Homeoffice ebenfalls positiv. Dabei spielen auch wirtschaftliche Betrachtungen eine Rolle. So überlegen einige der Unternehmen bereits, ob sie nicht mittelfristig Büroflächen einsparen können, wenn ihre Teams zukünftig häufiger von zu Hause aus arbeiten. Auch Reisekosten haben deutlich abgenommen: ein positiver Effekt, den man ebenfalls zukünftig stärker berücksichtigen möchte.

Ohne tägliches Pendeln wird es immer attraktiver, auch Menschen einzustellen, die deutlich weiter weg von ihrem Arbeitsplatz wohnen. So berichtet eine Führungskraft, dass sie bisher nur Bewerber aus dem Umkreis von einer Autostunde zur Zentrale eingestellt hat. Mit dem Homeoffice kann sie sich jetzt sogar vorstellen, Fachexpertise aus dem Ausland einzustellen. So kann das Team auch genau das fehlende KnowHow aus beispielsweise Spanien oder Bulgarien unterstützt werden.

Die Kehrseite der Medaille

Wenn die Menschen, die miteinander arbeiten, sich nicht mehr persönlich sehen, hat das auch negative Auswirkungen: Viele berichten in diesem Zusammenhang von einer niedrigeren Reizschwelle und einem schwächerem Nervenkostüm bei allen Beteiligten. Konflikte flammen schneller auf und das, obwohl viele eine stärkere Versachlichung der Diskussionen durch die virtuellen Formate beobachten. Dies könnte damit zu tun haben, dass der emotionale Austausch durch die virtuellen Formate generell leidet, denn trotz Videocalls ist die persönliche Wahrnehmung voneinander deutlich eingeschränkt.

Noch schwieriger wird es dort, wo sich durchgesetzt hat, die Kamera nicht einzuschalten.

“Ich kenne auch nach 7 Monaten nicht alle Teammitglieder vom Sehen, weil einige ihre Kamera nicht einschalten”

So eine neue Mitarbeiterin in einem deutsch-russischen Projektteam. Mimik und Gestik – ein wichtiger Teil der Information – bleiben dabei auf der Strecke. Diese Eindrücke fehlen dann z.B. bei Entscheidungen. Das sieht auch ein Geschäftsführer so, der beobachtet hat, dass die Unternehmenskultur unter den fehlenden Präsenztreffen leidet.

Fehlendes Vertrauen lässt Homeoffice Konzepte scheitern

Auch hat sich gezeigt, dass nicht alle Führungskräfte sich gleichermaßen darauf eingelassen haben, mit ihren Teams im Homeoffice zu arbeiten. Insbesondere dann, wenn das Vertrauen in die eigenen Mitarbeitenden fehlte, wurde die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, so schnell wie möglich wieder abgeschafft, wie es die Geschäftsführung in einem Unternehmen beobachtete.

Aber auch manches Teammitglied selbst beobachtet mit Sorge, dass einige Führungskräfte es ihm schwer machen, im Homeoffice zu arbeiten und befürchtet entsprechende Nachteile für die eigene Karriere.

Natürlich gibt es immer wieder Teammitglieder, die das neue Arbeiten für sich ausnutzen und mehr im Internet surfen, als an ihren Aufgaben zu arbeiten. Doch das ist, nach allem was wir gehört haben, eher die Ausnahme als die Regel. Manchen Menschen fehlt der Austausch im Kollegenkreis oder sie sind mit der Verbindung von häuslicher Situation und Arbeit überfordert. Ein gemeinsames Gespräch im Team ist hier ganz besonders wichtig, um schnell von Seiten der Führung reagieren zu können. Und seien wir mal ehrlich: Wer im Homeoffice nicht engagiert arbeitet, hat es im Büro auch nicht getan.

Neue Medien erfordern auch eine neue Form der Zusammenarbeit

Deutliche Unterschiede zeigen sich in der Art, wie die neuen Medien zum Beispiel für Meetings genutzt werden. Während einige Teams neue attraktive Meetingformate konzipiert haben, hat ein Großteil der Teams die Präsenzmeetings eins zu eins ins Virtuelle übersetzt. Die werden nun häufig als zäh und wenig effektiv erlebt. Die Erkenntnis, dass ein neues Medium auch eine neue Form benötigt, ist für einige auch nach einem Jahr noch eine überraschende Erkenntnis.

Dass sich in manchen Teams nun ein zähes virtuelles Meeting an das andere reiht und die eigentliche operative Arbeit zunehmend in die Abendstunden geschoben wird, verwundert daher nicht. Dabei sind es manchmal nur kleine Dinge, die den Ausschlag geben:

“Die Wichtigkeit von Pausenzeiten wird in virtuellen Meetings immer wieder unterschätzt.”

So Dorothee Brommer, Expertin für digitale Zusammenarbeit. Sie hat mit in einem virtuellen Team unter anderem Work-Hacks für virtuelle Arbeit, Zusammenarbeit und Meetings entwickelt, die man sich hier kostenlos herunterladen oder auch als haptisches Kartenset kaufen kann.

Auch das persönliche Kennenlernen, das bei Präsenzmeetings in Pausen oder bei gemeinsamen Treffen außerhalb der Arbeit geradezu nebenbei erfolgt, muss nun viel bewusster eingeplant und gestaltet werden.

Ein Geschäftsführer berichtet zudem etwas frustriert, dass die neue technische Infrastruktur für die virtuelle Zusammenarbeit von den Mitarbeitenden nicht genutzt wird. Hier fehlt wohl sowohl das notwendige Know-how, mit der Technik umzugehen, als auch der Wille, sich darin einzuarbeiten. All das erschwert letztendlich die Zusammenarbeit deutlich.

Einige Menschen, mit denen wir gesprochen haben, gehen so weit, von einer Zweiklassengesellschaft zu sprechen: Auf der einen Seite stehen diejenigen, die sich mit den neuen Medien und der Technik gut auskennen und sich in Online Communities mit Peers auch von anderen Organisationen regelmäßig austauschen. Auf der anderen Seite jene, die dieser Form des Arbeitens wenig abgewinnen und die Vorteile nicht sehen können.

Unser erstes Fazit nach einem Jahr Experiment Homeoffice

Trotz aller Herausforderungen, die nach wie vor bestehen, hat das Experiment unter dem Strich funktioniert. Was für viele als Sprung ins kalte Wasser begann, hat an einigen Stellen entscheidende Veränderungen in vielen Bereichen des Arbeitsalltags in die Wege gestoßen. Unserer Ansicht nach wird das Homeoffice zukünftig nicht mehr wegzudenken sein und die virtuelle Zusammenarbeit sich weiter verändern und professionalisieren. Die Denkhaltung bezüglich der eigenen Veränderungsbereitschaft wird hier der entscheidende Erfolgsfaktor sein.

Das wird die Organisationen ins Hintertreffen bringen, die im letzten Jahr sich dem Experiment nicht gestellt haben und hier keine Erfahrungen gesammelt haben. Denn immer mehr Unternehmen werden auch langfristig auf das Arbeitskonzept Homeoffice setzen – sei es, um für ihre Mitarbeitenden oder potenziellen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen attraktiv zu sein oder um Büroflächen einzusparen.

Damit wächst die Notwendigkeit, die digitale Kompetenz in den Organisationen zu erhöhen und neue Konzepte für die virtuelle Zusammenarbeit zu entwickeln. Das gilt erst recht für virtuelle Meetingformate. Es sind längst viele hilfreiche Tools auf dem Markt, die die Zusammenarbeit fördern. Das zu lernen ist kein Hexenwerk, erfordert aber oft professionelle Unterstützung.

Und Achtung: Denkhaltung geht vor Tool!

Die Arbeit im Homeoffice verändert nicht nur das Miteinander in der Belegschaft, sondern auch die Anforderungen, die an Führung gestellt werden. Führen auf Distanz bedeutet, sich intensiv mit dem Thema Vertrauen auseinanderzusetzen und das fällt nicht allen Führungskräften leicht. In vielen Unternehmen fehlt leider eine entsprechende Entwicklung und Unterstützung der Führungskräfte.

Mehr zum Thema finden Sie auch in den Ergebnissen unserer Umfrage: „Pandemie-Gewinner Digitale Transformation?“ unter www.gelberaben.de/#umfrage